Herausforderung: Virtuelle Kommunikation
Die Anforderungen an Kommunikation haben sich in Zeiten von Corona deutlich verändert: Homeoffice, Telearbeit, Videokonferenzen bestimmen die Organisation unserer Zusammenarbeit in Zeiten der Kontaktsperren.
Guten Tag Frau Simon, wir alle befinden uns in herausfordernden Zeiten. Die Anforderungen an Kommunikation scheinen sich deutlich verändert zu haben. Ich denke da an geänderte Formen der Zusammenarbeit aufgrund der Kontaktsperren und dem einhergehende Homeoffice. Was sind die häufigsten Fragestellungen, die im Moment der Krise an Sie herangetragen werden?
Ja, da haben Sie Recht. Wir alle befinden uns in der größten gesellschaftlichen Herausforderung seit Ende des 2. Weltkrieges. Nichts ist mehr, wie es vorher war und das stellt Unternehmen vor besonders große Herausforderungen. Das social distancing ist unumgänglich, stellt uns aber vor die ungeahnte Schwierigkeit, dabei die sogenannte social awareness beizubehalten. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen den Austausch untereinander. Kommunikation lebt von Kontakt und Kontakt ist derzeit in der von uns gewohnten Art und Weise sehr schwierig oder manchmal gar nicht möglich. D.h. Unternehmen sind nun auf digitale Lösungen angewiesen. Doch jede noch so gute Digitalisierung scheitert, wenn die Kommunikation nicht funktioniert. Nach nur 3 Wochen stelle ich fest, dass kommunikationspsychologische Grundlagen, deren Kenntnis und Umsetzung im Berufsalltag schon immer wichtig und unerlässlich für gelingende Kommunikation waren, nun noch stärker in den Vordergrund rücken. Das Bewusstsein der eigenen mentalen Modelle, Kenntnisse von echter, empathischer und wertschätzender Kommunikation und Feedback scheinen wichtiger denn je, denn die Klärung aufkommender Missverständnisse ist aufgrund der räumlichen Distanz erschwert. Nun sind Unternehmen gefragt, neue Verhaltensweisen und Kommunikationsregeln zu entwickeln und zu implementieren, um erfolgreich digitalisiert arbeiten zu können. Des Weiteren stelle ich fest, dass Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen gefordert sind, das Homeoffice selbst zu organisieren. Die Betonung liegt auf dem „selbst“. Ein gutes Selbstmanagement ist der elementare Baustein, damit Homeoffice und damit Zusammenarbeit auf Distanz funktioniert.
Wie gehen Unternehmen mit der aktuellen Herausforderung um und wie bewerten Sie den Status Quo?
Ich denke, dass das Coronavirus wie eine Art „Turbo Booster“ auf die Digitalisierung wirkt. Unternehmen, die bereits digitale Lösungen der Zusammenarbeit etabliert haben, sind nun klar im Vorteil. Alle anderen versuchen jetzt so schnell wie möglich irgendwie nachzuziehen, damit die Arbeit weiter gehen kann. Dabei scheitert es manchmal an der Hardware, manchmal an der Software oder dem geeigneten Tool. Problematisch ist dann auch, wenn Mitarbeiter sich mit dem jeweiligen Tool nicht gut auskennen und somit doppelter Arbeitsaufwand betrieben wird oder Kollegen nicht weiterarbeiten können. Mein Eindruck ist, wer noch nicht so gut aufgestellt war, musste schnell handeln und nun kommen die ersten Schwierigkeiten der Zusammenarbeit ans Tageslicht. Schnelle Anwendbarkeit musste sichergestellt werden, doch nun wird es darauf ankommen, nachhaltig weitere Anwendungen zu etablieren. Nachdem ersten Hürden aus dem Weg geräumt zu sein scheinen, zeigt sich nun zunehmend, dass die Art der Kommunikation mit und in diesen neuen Medien über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Worauf ist Ihrer Meinung nach zu achten, wenn es darum geht, geeignete digitale Medien und Tools auszuwählen, mit denen zwischen Teams, Unternehmen und Kunden kommuniziert wird?
Grundsätzlich sollte man als erstes überlegen, welches Kommunikationsmedium das richtige für welche Anforderung ist. Geht es darum, dass Teams gut in den Austausch kommen können oder gar in Untergruppen unterteilt in kleinen Workshops zusammenarbeiten oder geht es darum, mit Kunden ins Gespräch zu kommen und ein Produkt zu präsentieren? Vielleicht geht es aber auch um ein kurzes Update zum Projekt oder um einen persönlichen Austausch? Unterschiedliche Anliegen verlangen unterschiedliche Kommunikationstools. Dabei sollte man auch stets die Zeit im Auge behalten, denn unsere Aufmerksamkeitspanne ist online deutlich kürzer als normalerweise und wir brauchen mehr Pausen.
Können Sie aus Ihren Erfahrungen einige generelle Tipps abgeben? Was sind die drei wichtigsten Aspekte, um die aktuellen Herausforderungen an die Kommunikation zu meistern?
Aus meiner Sicht sind Orientierung, Transparenz und Vertrauen die Zutaten, mit denen wir den aktuellen Herausforderungen an die Kommunikation begegnen sollten. Generell empfehle ich Unternehmen, eine virtuelle Etikette und unternehmensinterne Kommunikationsregeln festzuhalten, an denen sich alle orientieren können. Orientierung ist gerade jetzt sehr wichtig, da wir alle stark verunsichert sind und nicht mehr wissen, welche Regeln nun gelten bzw. ob es überhaupt welche gibt. Auch sollten wir transparenter sein. D.h. wir müssen sagen, was wir denken, fühlen und wie wir uns selbst organisieren. Denn das ist online deutlich schwerer zu erkennen. Stellen Sie sich nur eine wirklich klassische Situation vor – ein echtes Beispiel. Ein Kollege A schreibt seinem Teamkollegen B abends um 17 Uhr eine Mail, dass er bis morgen 12 Uhr ein Dokument braucht. Kollege B hat schon Feierabend und liest das leider erst morgens um 9 Uhr und schreibt A an, dass er das Dokument gern weiterleitet, er aber nicht weiß, welches genau. A ist um 9 Uhr aber direkt in einem Online-Meeting bis 10 Uhr. Nun ist 10 Uhr und B ist in einem Call bis 12 Uhr und somit nicht erreichbar. Kollege A ist stinksauer über die Unzuverlässigkeit von B. Kollege B ärgert sich über A, weil dieser so unpräzise kommuniziert und dann auch noch eine unverschämte E-Mail schreibt, in der er sich über seine angebliche Unzuverlässigkeit auslässt. Das Beispiel zeigt, dass Regeln und Transparenz extrem wichtig sind. Hinzukommen aber noch weitere Herausforderungen, wenn wir online per Video miteinander sprechen. Wir neigen virtuell dazu, nur das wirklich Wichtige zu sagen, dadurch wirken wir schnell hart oder desinteressiert. Dazu kommt, dass Emotionen eher reduziert werden und wir dann auch noch schneller „abschalten“ als wenn wir körperlich präsent sind. Mimik, Gestik und Sprache sind schwerer zu interpretieren. Die Aufmerksamkeit ist kürzer, Emotionen werden digital unterdrückt. Insgesamt gibt es wahnsinnig viel Spielraum für Interpretationen und eigene Hypothesen, und ich kann Ihnen sagen, wir liegen leider oft daneben.
Des Weiteren spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Führungskräfte können ihre Mitarbeiter im Moment nicht oder weniger kontrollieren. Sie sollten nun noch mehr Vertrauen schenken und dieses zeigen, Eigeninitiativen der Mitarbeiter unbedingt fördern und sie breit unterstützen. Wer sich jetzt gewertschätzt und verstanden fühlt, wird dem Unternehmen auch in besseren Zeiten loyal zur Seite stehen. Und vergessen Sie das Socializing nicht. Das geht auch virtuell. Es ist vielleicht nicht ganz so einfach, aber es klappt und verbessert nachhaltig die Kommunikation. Informeller Austausch gepaart mit echtem Interesse hat schon so manches Projekt vorangebracht oder den ein oder anderen Konflikt im Keim erstickt.
Einmal von der anderen Seite betrachtet: Wo sehen Sie Fallstricke, in die man in der aktuellen Situation treten kann?
Die aktuelle Situation zwingt uns zu Veränderungen. Die Veränderungsbereitschaft bzw. das Change Management waren schon vorher essentiell, um erfolgreich bleiben zu können. Doch jetzt ist die Bereitschaft zu Veränderung alternativlos. Diese Bereitschaft, Veränderungen mitzugestalten, anzunehmen und zu leben – eines jeden Einzelnen – ist entscheidend fürs Überleben. Beharren Unternehmen auf der Position, dass diese Krise irgendwann schon wieder vorübergeht und wir zum „business as usual“ wieder übergehen können, dann werden sie sich nicht mehr lange am Markt halten können. Die Digitalisierung wird sie überrennen und Mitarbeiter, vor allem die junge Generation, der Nachhaltigkeit, Work-Life Balance und Flexibilität wichtig sind, wird sich abwenden.
Damit sprechen Sie genau das an, was viele von uns beschäftigt. Schon in normalen Zeiten erleben wir, dass Kommunikation und Leadership Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Jetzt befinden wir uns aber in einer Krise, so dass diese Softskills in besonderem Maße gefragt sind. Worauf kommt es Ihrer Meinung nach jetzt an und was können Unternehmen tun, um in dieser Krise gut aufgestellt zu sein?
Viele Unternehmen haben vor der Krise schon erkannt, dass es wichtig ist, alle Führungskräfte und Mitarbeiter an der Weiterentwicklung der Kultur des eigenen Unternehmens zu beteiligen. Kommunikation und Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis von Führung sind die Grundlagen dafür. Eine Unternehmenskultur entsteht aus den Gewohnheiten und Verhaltensweisen seiner Mitarbeiter. In der aktuellen Krise zeigt sich besonders intensiv wie stark oder schwach Unternehmen, kulturell gesehen, aufgestellt sind. Jetzt gilt es in erster Linie Führungskräfte zu unterstützen, sie individuell zu fördern und weiterzuentwickeln, so dass sie als eine Art Expeditionsleiter die Führung übernehmen und dennoch durch emotionales und menschenorientiertes Miteinander ihre Teams führen können. Dabei spielt Kommunikation die entscheidende Rolle. Die Bildung und Führung virtueller Teams ist aufwändiger als die von Präsenzteams. Zahlreiche Studien* zeigen, dass 3 von 4 virtuellen Teams scheitern, weil Vertrauen fehlt. Führungskräfte müssen nun mehr Orientierung und Sicherheit als zuvor geben, ohne dabei das emotionale und menschorientierte Miteinander zu verlieren. Dabei braucht es bei virtuellen Teams von allem ein bisschen mehr. Mehr Vertrauen, mehr Transparenz. Nicht nur sagen, sondern zeigen. Jetzt kommt es mehr denn je darauf an, dass wir uns als Mensch zeigen und zu erkennen geben, wer wir sind und was uns wichtig ist. Das schafft Vertrauen. Je besser wir einander kennen, desto einfacher ist es für andere mit uns umzugehen und uns einzuschätzen. Als nächstes sollten Führungskräfte mit ihren Teams die Arbeitsweise festlegen. Klare Aufgabenverteilung, Verantwortlichkeiten festlegen, Erwartungen mitteilen und Ziele definieren. Und das alles verschriftlichen. Am besten auch schon im Vorfeld Termine für Updates, Meetings etc. für alle sichtbar im Kalender festhalten. Ist dies geschehen, gilt es, das richtige Medium auszuwählen. Darüber haben wir ja schon gesprochen und natürlich dessen Nutzung zu schulen. Auch Selbstverständliches sollte immer mitgeteilt bzw. erklärt werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Denn das ist die große Gefahr. Missverständnisse, aus denen schneller Konflikte eskalieren können, da wir online/virtuell länger abwarten, um diese anzusprechen. Wir müssen uns bewusst sein, dass jedes Medium zu einer Reduktion der transportierten Informationen führt. Mimik, Gestik, kleine Seufzer, Blicke und die verkürzte Aufmerksamkeit führen dazu, dass viele Informationen auf der Strecke bleiben. Deshalb sind wir gut beraten, nachzufragen, Unklarheiten sofort anzusprechen und Emotionen auszusprechen. Je besser wir miteinander kommunizieren können, je sauberer die Rahmenbedingungen abgesteckt sind und je mehr wir einander vertrauen, desto freier und selbstbestimmter können wir arbeiten. Persönliche 4 -Augengespräche, (virtuelles) Socializing, echtes Interesse sind aktuell noch wichtiger als zuvor. Später, wenn wir hoffentlich bald irgendwann wieder mehr persönlichen Kontakt haben dürfen, gilt es, durch gemeinsame Kick-off Veranstaltungen, Besuche und Events das Vertrauen und das Wir-Gefühl zu stärken. Letztendlich liegt es an der Einstellung jeder einzelnen Führungskraft. Mit welcher inneren Haltung führe ich meine Mitarbeiter? Der transformationale Führungsstil ist auch jetzt empfehlenswert. Das Coronavirus schafft ein erzwungenes Empowerment, denn klassische Hierarchie auf Distanz funktioniert nicht.
Das Interview führte Herr Andreas Penzel, Mitglied der Geschäftsleitung der ISS Software GmbH. Der Beitrag ist erstmalig am 7. Mai 2020 auf der Website der ISS Software GmbH erschienen. Zur Website der ISS Software GmbH (externer Link).